DigitalgipfelDigitalisierung mit Bleiweste

In Frankfurt trafen sich eine Menge Leute, um übers Digitale zu reden. Dabei ging es viel zu oft um KI und viel zu selten gings ans Eingemachte. Ein kommentierender Eindruck.

Bundeskanzler Scholz (rechts) schaut auf den Roboter „Asphalt Flair“, der zur Schadstellensanierung in Asphalt eingesetzt werden kann. Beim Rundgang wird der Bundeskanzler von Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Kristina Sinemus, der hessischen Digitalministerin, begleitet.
Bundeskanzler Olaf Scholz: Teilnahme am Digital-Gipfel – Alle Rechte vorbehalten Bundesregierung / Marvin Ibo Güngör

Im Städte-Ringelreigen war nach Jena und Berlin diesmal das hessische Frankfurt dran mit dem Digitalgipfel der Bundesregierung. Wirtschafts- und Digitalministerium luden gemeinsam nach Mainhattan, um unter dem Motto „Innovativ. Souverän. International.“ über den Stand und die Zukunft der deutschen Digitalisierung zu reden. Oder vielmehr, so wirkte es zumindest an den meisten Stellen, über den Stand der deutschen Digitalwirtschaft.

Zugegen waren laut Presseverlautbarung rund 1.500 Fachleute, viel Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Wissenschaft. Auch ein wenig Zivilgesellschaft war dabei. Knitternde, gedeckt dunkelblaue Anzüge machten jedoch die Mehrheit aus. Man tauschte sich aus auf zahlreichen Panels mit Titeln wie „Digitale Identität – ein Schlüssel in allen Lebenslagen“ oder „Erfolgsfaktor Digitalkompetenz: Innovative Ansätze aus der Unternehmenspraxis“. Mehr als nur ein Hauch von Cebit wehte durch die Hallen.

Überall KI

In die Medien schafften es vor allem die Ankündigungen der Bundespolitik-Prominenz. Markig verkündete Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing „digital only“ als neue Losung, weit bevor „digital first“ überhaupt in Greifweite wäre. Immerhin das „Bedenken second“ nimmt man dem FDP-Politiker ab, der forderte, man müsse jede Menge Daten „generieren“.

Allen voran aber ging es allerorten um KI. Selbst wenn das allgegenwärtige Buzzword nicht im Titel eines der zahlreichen Panels stand, landete das Gespräch doch allzuoft bei den „Chancen und Risiken“ der Technologie. Um Chancen und Risiken – manchmal hießen sie auch „Potenziale und Herausforderungen“ oder weniger kreativ „Licht und Schatten“ – ging es sowieso sehr viel: ob bei Deep Fakes, Demokratie, Social Media und allen möglichen anderen Themen. Oft wirkte es so, als sei die Digitalisierung etwas, das über einen kommt wie ein Naturereignis. Und nicht so als sei sie etwas Menschengemachtes, das man selbst von Grund auf gestalten könnte.

Vielleicht liegt das vermisste Gestaltungsbewusstsein aber auch daran, dass Deutschland hinterherhinkt – ein Thema, das fast genauso häufig zur Sprache kam wie der zweibuchstabige Hype, der außerhalb des Digitalgipfels längst abflaut. Vielleicht bleibt da eben nur noch übrig, sich bei digitalen Möglichkeiten bei dem Angebot der anderen zu bedienen oder den Markt – wenn das Angebot nicht überzeugt – zu regulieren.

Regulierung böse

Regulierung ist ein Reizwort für die vielen Wirtschaftsrepräsentant:innen, die sich auf dem „Gipfel“ herumtrieben. So als würde man „mit Bleiwesten Fußball spielen müssen“, fühle man sich manchmal, ließ Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst im Gespräch mit Olaf Scholz verlauten. Was er damit meint? Gesetze wie Datenschutzgrundverordnung, Data Act und KI-Verordnung zum Beispiel. Kein Wunder, dass man mit den nicht näher benannten „großen Gegnern“ nicht mithalten könne. Also offenbar lieber „Bedenken second“, ganz nach altem FDP-Erfolgskurs? Na zumindest mehr Kapital braucht es, das macht Wintergerst weniger bildlich gesprochen sehr klar.

Der Bundeskanzler wiederum pochte darauf, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Man hole grade auf nach einem „Jahrzehnt des Stillstands“. Und überhaupt: Er mag es nicht, wenn man Deutschland so schlecht macht. Wirtschaftminister Robert Habeck hingegen verkündet an anderer Stelle, man solle bedenken, dass man nicht der Nabel der Welt sei.

Am Ende des Gipfels weiß man dann gar nicht so recht, worum es hier eigentlich ging. Vieles blieb an der Oberfläche, eine tiefere Diskussion scheiterte allzuoft am Anspruch, alle aus dem Publikum abzuholen. An sich ein edles Ziel. Aber ist es das richtige für eine Veranstaltung mit dem Anspruch, der Gipfel des Digitalen und eine Zusammenkunft der Fachleute zu sein?

Zumindest bietet die ganze Oberflächlichkeit die Möglichkeit für Minister, in ihren Reden die tollen Nutzungsmöglichkeiten anonymisierter Daten hervorzuheben. Ganz ohne allzu genau sagen zu müssen, was das eigentlich ist und wie das gehen soll. Weitgehend unangesprochen bleiben die aktuell heißdiskutierten grundrechtsfeindlichen Gesetze der Ampel, wenns um die digitalen Überwachungsmöglichkeiten für Ermittlungsbehörden und Co. geht, selbst wenn diese wie das „Sicherheitspaket“ ebenfalls KI enthalten. Denn in Frankfurt, da geht es vor allem um die Wirtschaft.

Vermutlich dient die Traditionsveranstaltung aber auch eher dem Händeschütteln und der bleiernen Selbstvergewisserung bei Grüner Soße und Frankfurter Kranz, dass man es schon schaffen kann. Wenn man jetzt die Ärmel des modisch-blauen Jacketts hochkrempelt, wird das schon mit der Digitalisierung und der Transformation. Versprochen.

4 Ergänzungen

  1. „Wirtschaftminister Robert Habeck hingegen verkündet an anderer Stelle, man solle bedenken, dass man nicht der Nabel der Welt sei.“
    Kann er gleich der Partei auf die Fahne schreiben – die meinen das auch immer, das WIR die Welt retten müssen.

    1. Aber leider müssen wir die Welt retten, und alle anderen müssen das ebenfalls, denn die Klimakrise trifft uns alle.

      Ok, wer früh genug tot oder reich genug ist, und hinreichend egoistisch, der kann die Welt abfackeln. Das ist offensichtlich die grosse Mehrheit der deutschen Wähler, wobei das mit dem „reich genug“ zu ihrem Leidwesen nicht stimmt.

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